I n n o - P r e t a t i o n
Pandora ist eine fiktive Welt, schön und gefährlich, archaisch und visionär. Mit grossen Augen tauchen wir in diese Welt und verlieren uns, gelegentlich, in ihrer dritten Dimension. Ein beeindruckendes Produkt, und es hat in den Medien ein beachtliches Spektrum an Aufmerksameit generiert. Mit seinem Film Avatar ist James Cameron die Singularität gleich zwei mal gelungen: zum zweiten Mal setzt er sich (mit knapp 2 Mrd. Dollar) an die Weltspitze der Kinoumsätze und lässt damit seinen Film Titanic (mit 1,8 Mrd. Dollar) in die Geschichte abgleiten. Ein seltenes, vielleicht nicht gleich historisches, aber doch erstaunliches Ereignis, bei dem Kritiker und Publikum einer Meinung sind. Dennoch hat es, so war zu lesen, neben den geschätzten rund 300 Millionen Dollar Herstellungskosten, immerhin, trotzdem, obendrauf, auch irgendeine Summe um die 300 Millionen Dollar gekostet (Stand heute sind das rund 15% des Umsatzes), um diesen Weltumsatz durch eine gewaltige werbliche Gesamtmassnahme zu befördern, ja, überhaupt erst möglich zu machen. Avatar ist ein Produkt, durchgerechnet, genau, das Ergebnis einer prezisen Planung. Und obwohl in diesem Film ein UpLoad erstmals (und sogar zweimal) einem breiten Publikum vorgeführt wird, markiert Avatar keine kulturelle Zäsur.
Auch Apple schickt sich an, seiner inzwischen schon ganz passablen Liste an Singularitäten (vom Mac, way back in 1984, über das Powerbook, den iMac, den iPod und das iPhone) ein neues Produkt voranzustellen, den oder das iPad. Einzig und alleinstellend an den Apple-Produkten ist aber nicht so sehr der (beeindruckende) Umsatz. Die Tatsache, dass Apple seine Erfolge relativ mit einem ungleich geringeren Werbebudget realisiert (der Financial Report für 2009 weist 500 Millionen Dollar Werbeaufwendungen aus, also 1,5% von einem Umsatz von 36 Milliarden Dollar), das ist ein Hinweis auf eine andere singulare Qualität.
Apple kreiert Mythen.
Apple schafft mit seinen Produkten eine vorausgreifende Gegenwart oder anders gesagt: in dem das Unternehmen Zukunft materialisiert, prägt und verändert es die Erscheinung der Gegenwart.
Keine andere Company, (man müsste es wohl noch allgemeiner fassen:) keine andere Entität der Welt versteht es, in dem Masse Aufmerksamkeit einzukassieren und zu monopolisieren wie Apple es kann. Beispiele: 20th Century Fox? - wie gesagt. Hollywood bringt die Zukunft zwar auf den Bildschirm, doch die Erdung steht aus. Und obwohl die Traumfabrik exzessive Etats einsetzt, misslingt die Eroberung der kulturellen Deutungshoheit. Google? - nicht wirklich; auch wenn alle Welt hinschaut, so ist doch zugleich die emotionale Reichweite um wenigstens eine Kubikwurzel kleiner. Microsoft? - vielleicht am ehestens noch Microsoft, doch wenn, dann nur mit negativem Vorzeichen. Nach Steve Ballmers Keynote auf CES in Las Vegas bleibt nur ungläubiges Kopfschütteln, will man sich eine weiter gehende Polemik verkneifen. Und das ist dann schon die ganze, schmale Auswahl möglicher Wettbewerber. Die alten Heldendarsteller, Mercedes oder Porsche, Gucci, Versace oder Prada, Ikea oder Samsung, allen fehlt es an vergleichbarer Aufladung und Prägekraft. Es gibt auf der Welt viele grosse Brands und beeindruckende Produkte, doch was immer wir ins Feld führen wollten, keine andere Firma magnetisiert Aufmerksamkeit wie Apple.
Die Kraft und Beständigkeit, mit der das „geschieht“, fordert, gebietet, fleht nach einer Interpretation. Da „geschieht“ etwas, wollte man von „Gelingen“ sprechen, würde das Anstrengungen implizieren, doch darum ist es nicht. Es ist leicht, einfach, simpel, fast einfältig. Ein Mantra, das seine Kraft womöglich aus eine geheimen göttlichen Quelle speist (die Kollegen vom Economist haben das rechte Bild dazu gefunden), das sich unserem gewachsenen Verständnis entzieht.
Steve Jobs, in einem immergleichen Mönchshabitus, zelebriert seine Gottesdienste mit einem immergleichen Vokabular (hare, hare hare, hare Krishna …), so fraktal, dass es den Kommentatoren bereits gelingt, das Protokoll dieser Veranstaltungen im Vorhinein zu schreiben. Was diese „special events“ von allen anderen Marketinganstrengungen auf der Welt unterscheidet ist, dass hier bloss die Wahrheit verkündet wird, mehr nicht und nicht weniger. Anders als jeder andere Unternehmensführer der Welt kann Steve Jobs den Glorienschein der Adjektive und Superlative aus eigenem Recht bemühen. Hier ist nichts subtil, nichts wird insinuiert, es braucht keinen Sex und keine Grössenphantasien, nur ein Sofa und ein Gegenstand, „magical and revolutionary“ - eine Leinwand braucht es nur, damit die Welt sehen kann, was geschieht. Und die Welt staunt, ein kulturelles Vakuum, dessen extraordinäre Halbwertzeit ganz offenbar mit Steve Jobs zu tun hat, aber auch mit dem elitären Standpunkt seines Ökosystems „an der Kreuzung von Technologie und Geisteswissenschaften“.
Und dann erleben wir noch etwas einmaliges: plötzlich, ein Phönix aus der Asche, werden wir Zeuge einer Wiedergeburt. Totgesagt und beerdigt, auferstanden aus dem Malstrom des Überflusses: der Diskurs! Ja, es brodelt in den Blogs und Feuilletons, endlich ein Anlass, dem Publikum die Welt zu erklären. Natürlich sind es nicht die Intellektuellen, die sich hier zu Wort melden, jedenfalls nicht jene, für die das Schimpfwort in die Welt kam. Es sind die Gestalter der Zukunft, die Nerds und Geeks und all jene, die verstanden haben, dass unser Schicksal und die Zukunft nicht aus der 3...00sten Interpretation des „Kaufmann von Venedig“ aufsteigt. Padauz! Hier ist Öffentlichkeit, ein raisonnierendes Publikum, hoffen wir, dass Habermas hinschaut.
Teufel auch, was wird da nicht alles filosofiert: … „nur eine zu teures iPhone“ (MobiFlip), „the uncomputer for the masses“ (TechCrunch), „Apple wird der Großverlag der Welt“ (FAZ), „Nobody has cared to create content.“ (wired), „The tech world is suffering future shock ..., ...the End of the Era of Open Computing? (Fast Company), „Your Computer Consumerized“ (O‘Reilly Radar), und dann noch Frank Schirrmacher, der in einem offenbar unredigierten Text allerlei interessante Beobachtungen (keine Technologie, sondern eine „Verwaltungsreform“) mit Kaffeesatz (könnte, würde, vielleicht …) verquirlt. Was, bitte schön, ist das iPad? fragt die Gemeinde! „What business are we in?“ - fragt dagegen der Berater - und wie so oft ist das schwer zu beantworten.
Erwartungsgemäss verkünden die Dienstleister der Wagenburg, dass das iPad eine Medienplattform ist. A secure bet, von hier kommen die Impulse (und Subventionen). Die Rechnung wird überall da aufgehen, wo den Veranstaltern das Pricing gelingt; hier in Deutschland ist das nicht zu befürchten. Schon weniger einfach wird die Prognose, wo es um Konvergenz geht; praktisch, oder jedenfalls theoretisch, fallen auf dem iPad ALLE Medienformate zusammen - und so sollten wir uns darauf vorbereiten, dass die kräftigsten und zugleich flexibelsten Vertreter der Branche/n uns eine heil- und kostenlose, blinkende und trompetende Umweltverschmutzung anbieten werden. Ob sich das iPad schliesslich auch als eine Gaming-Plattform durchsetzen wird? Vielleicht sind meine Zweifel daran auch altersbedingt, „irgendwie“ aber scheint mir auch, dass das iPad sich eine andere Zielgruppe sucht. Need?or?Nice: während das iPhone eigene Rechte für sich reklamiert, geriert sich das iPad eher als ein Nice2Have; nichts, das ich nicht anderwärts bereits bedient bekäme.
Hinzu kommt die Taschenfrage, durchaus geschlechtsneutral: Will ich denn wirklich mein iPhone, mein iPad UND auch noch mein MacBook mit mir rumschleppen, um für die Anforderungen des Alltags gewappnet zu sein? Nicht zu reden von den - wenigstens - zwei Providervertägen. What Business are we in! Um meinen Laptop zu substituieren - werden Mails, pdffe und iWork nicht reichen. Um mein iPhone daheim zu lassen, müsste ich mindestens telefonieren können. Eine echte Legitimität dagegen erwüchse erst aus dem VPhone, dafür aber fehlen (noch) ein paar unabdingbare Attribute. Und wenn: Grösse und Gewicht des iPad sind für die Jackentasche denkbar ungeeignet, und eine Rückkehr zum Herrenhandtäschchen kann(!) Apple(!!) nicht wollen!
„Der Vorhang zu und alle Fragen offen.“ Nach ein paar Tagen des Navigierens und Bedenkens bleibt (natürlich) der Eindruck der Vorläufigkeit, aber auch das Gefühl, dass das „Interpretationsvakuum“ reichlich Energie ansaugt und einen regelrechten Inno/pretations-Wettbewerb erzeugt, in dem sich die Eggheads mit grossvolumigen Erklärungsmustern zu übertrumpfen suchen. Jeder Zweite will eine noch grössere Schraube entdeckt haben, die jetzt um zwei, drei alles entscheidende Windungen weitergedreht wurde, zusammengenommen muss die Welt in eine Zeit vor und eine nach dem iPad sortiert und neuerlich erklärt werden.
All das ist für den Tag, und weniger: für den Augenblick. Solange „wir“ (ohne reality check, ohne Testphase, und na klar: auch ich hier) im Trüben fischen, sind „wir“ nicht mehr und nicht weniger als die dummen Erfüllungsgehilfen einer kostenlosen Marketingkampagne. (IvD)
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