Qualität als Strukturproblem
Patrick Bahners verfügt über einiges Talent. Er war ein Shooting Star, bereits mit 22 Jahren für vier Jahre Mitglied der FAZ-Feuilleton-Redaktion, bevor er sich einem Zweitstudium widmete. Mit 30 kehrt er als Stv. Feuilletonchef zur FAZ zurück. Vier Jahre später überwindet er die Stellvertretung, verfasst namhafte Werke zur Geschichte, erhält Preise, übernimmt Lehraufträge; allein sein fieselieges Bärtchen und seine Ehrenpräsidentschaft bei den Donaldisten deuten eine zaghafte Hinwendung zu zentrifugalen Kräften an. Jetzt, mit 44 Jahren, scheint es, stünde „eigentlich“ ein grundlegender Wandel im Leben des Patrick Bahners an. Warum - und auch: welcher?
Ich habe heute seinen Aufsatz „Der offene Handelsstaat“ gelesen, der am Mittwoch im Feuilleton der FAZ erschienen war, und ich tat mich schwer damit. Nicht zum ersten Mal. Ich lese Bahners eigentlich immer, obwohl ich nur selten eine inhaltliche Nähe verspüre, nur selten in Berührung bin mit seinen abgelegenen Themenfindungen. An Bahners interessierte mich früher, wie er in kongenialen, gleichsam mathematischen Ableitungen aus dem Irgendwo im Jetzt landete und ein paar untergründige, verborgene, beinahe geheime Quellflüsse des Zeitgeistes aufspürte. Seit einigen Jahren aber versanden die Flüsse.
Wer ihm über die Jahre in der publizistischen Arbeit gefolgt ist, dem mag, langsam, aber mehr und mehr, eine gewisse Beklemmung aufkommen. Patrick Bahners verfügt über profunde Kenntnisse in einem breiten Spektrum historischer und gesellschaftlicher Entwicklungen; fast möchte man sagen: da liegt der Hase im Pfeffer. Was immer er schreibt ist bis in die Details beschlagen, er gräbt sich durch die eingestaubtesten Bibliotheken, ein historisch-literarischer Archäologe der Moderne, wenn man so will.
Doch jetzt kommen zwei andere, untergründige Strömungen zusammen: einerseits lockert sich sein Zugriff auf die Materie. Er fängt eine Passage, um im Bilde zu bleiben, am Flussufer an, bemerkt sich in ein paar kunstvoll ältlich gedrechselten Wendungen am Rande einer Brache, gerät, man weiss nicht wie, trockenen Fusses an‘s andere Ufer, sammelt einen Kiesel, wechselt unversehens und mit hoher Schlagzahl zurück, in der Mitte des Flusses fällt ihm eine Reliquie in die Hände und, während er sie mit dem und gegen das Licht betrachtet, wird er ein paar Kilometer Flussabwärts getrieben. Am Ende eines Aufsatzes von Patrick Bahners muss man noch mal von vorn anfangen, mindestens aber auf den Vortext schauen, um danach zu suchen, was denn wohl der Anlass oder das Ziel dieses Angehens gewesen sein mochte. Verwirrung.
Der Artikel gestern handelt von John Paul Stevens, einem Richter am obersten Gerichtshof der USA. Die von überbordenden Nebenlinien vergatterte Argumentation, nee, Darstellung? Hhm, also, der Text beginnt mit einem Rechtsstreit der (US-)Bundesarbeitsagentur für gleiche Arbeitsbedingungen gegen den Staat Wyoming. Es ging um das Verbot der Altersdiskriminierung im Zusammenhang mit der Frage, ob ein Bundesstaat ein, im Sinne des Gesetzes, „normaler“ Arbeitgeber sei, der diesem Verbot Folge zu leisten habe. Das richterliche Votum, so stellt Bahners dar, fusse auf der „Handelsklausel der Verfassung“ - was aber diese Klausel und die Altersdiskriminierung und/oder die Definition von Arbeitgebern im gesetzlichen Sinne zueinander bringt, bleibt unklar. „Dazu muss man wissen,“ schreibt Bahners - eine verräterische Wendung - und erläutert, dass es in der Auseinandersetzung um diese Klausel ein jahrzehntelang wogendes Hin&Her gegeben habe, letztlich um die Frage der Macht des Zentralstaates. In dieser Auseinandersetzung kommt es u.a. schon mal zu einem Rechtsstreit über den Anbau medizinisch indizierten Marihuanas, dann ist Stevens ein Befürworter der Sterbehilfe, und zur „Biopolitik der Bush-Regierung trennt ihn Himmelsdistanz“. Zwischendurch geht es um die Historie des Obersten Gerichtshofes und die Ziele zurückliegender Regierungen bei der Besetzung freiwerdender Richterposten, um die Frage, warum jemand, der einst als konservativ galt, unter heutigen Umständen als liberal gefeiert wird. Und irgendwie spielt es auch eine Rolle, dass Stevens, als es um die Altersdiskriminierung ging, 1983 nämlich, gerade 62 Jahre alt war und weitere 27 Jahre in seinem Amt verblieb. „Eine gesetzgeberische Initiative, die mit Aussicht auf Erfolg seine damalige Einschätzung auf seine eigene Tätigkeitssphäre angewandt hätte, hat er nicht erleben müssen.“ Jetzt - sind wir erst auf halber Strecke, und es warten noch …
Auch dem stilistischen Gourmand und engagierten Leser gerät das Geschriebene, wie das Flirren heisser Luft über der Wüste, zu einer ungreifbaren Fata Morgana, immer wieder von Windböen vor dem Entstehen eines erkennbaren Bildes verwirbelt. Was will uns der Dichter damit sagen? Man weiss es nicht. Dabei spürt man, um das mit aller Deutlichkeit zu sagen, dass „da was ist“, man wähnt eine Qualität, die nur zur „Kenntlichkeit“ geführt werden müsste.
Von der Schlauheit führt nur die Demut zur Weisheit.
Es scheint, als gerate hier möglicherweise das Übermass an Kenntnissen und Sachverhalten wie zu einem Delta der Unübersichtlichkeit. Bahners flutet die Zeilen mit Kleinkenntnissen, mit einem Feuerwerk an flächendenckenden Bedeutungsräumen, alles, so könnte man sagen, hängt irgendwie mit allem zusammen. Nur wie?! So wächst der Preis des Wissens sich zu einer Quersumme aus, aus einer wachsenden sachlich-moralischen Unentscheidbarkeit, einerseits.
Andererseits, und das erzeugt den qualitativen Verlust, fehlt es an redaktioneller Disziplinierung. Objektiv fehlen womöglich die Kapazitäten, und das gilt für immer mehr Texte in der FAZ. Aber auch die subjektive Komponente hat systematisches: wer korrigiert einen Feuilletonchef? Die rasche, beeindruckende Karriere des Helden mischt Unfehlbarkeit mit Unangreifbarkeit, um ihn herum wächst der isolierende Mangel an kompetenter Diskussion. Herr Bahners, so könnte man es platt sagen, wird nicht mehr redigiert; es ist niemand da, der dem Chef sagt, wohin er sich verläuft. Man zuckt mit den Schultern, im Radio würde man sagen: das versendet sich.
Das unglückliche Zusammenspiel dieser zwei Mängel machen der FAZ und vielen anderen Qualitätsmedien zu schaffen. Wenn die Personaldecke dünner wird, muss man auf die Substanz der Belegschaft vertrauen. Das wird für den Tag gutgehen, auf Dauer geht es schief. Die Frage, die sich doch stellt, ist die: hat Patrick Bahners ein Problem? Oder die FAZ? Oder am Ende nur die Herausgeber. (IvD)
Patrick Bahners verfügt über einiges Talent. Er war ein Shooting Star, bereits mit 22 Jahren für vier Jahre Mitglied der FAZ-Feuilleton-Redaktion, bevor er sich einem Zweitstudium widmete. Mit 30 kehrt er als Stv. Feuilletonchef zur FAZ zurück. Vier Jahre später überwindet er die Stellvertretung, verfasst namhafte Werke zur Geschichte, erhält Preise, übernimmt Lehraufträge; allein sein fieselieges Bärtchen und seine Ehrenpräsidentschaft bei den Donaldisten deuten eine zaghafte Hinwendung zu zentrifugalen Kräften an. Jetzt, mit 44 Jahren, scheint es, stünde „eigentlich“ ein grundlegender Wandel im Leben des Patrick Bahners an. Warum - und auch: welcher?
Ich habe heute seinen Aufsatz „Der offene Handelsstaat“ gelesen, der am Mittwoch im Feuilleton der FAZ erschienen war, und ich tat mich schwer damit. Nicht zum ersten Mal. Ich lese Bahners eigentlich immer, obwohl ich nur selten eine inhaltliche Nähe verspüre, nur selten in Berührung bin mit seinen abgelegenen Themenfindungen. An Bahners interessierte mich früher, wie er in kongenialen, gleichsam mathematischen Ableitungen aus dem Irgendwo im Jetzt landete und ein paar untergründige, verborgene, beinahe geheime Quellflüsse des Zeitgeistes aufspürte. Seit einigen Jahren aber versanden die Flüsse.
Wer ihm über die Jahre in der publizistischen Arbeit gefolgt ist, dem mag, langsam, aber mehr und mehr, eine gewisse Beklemmung aufkommen. Patrick Bahners verfügt über profunde Kenntnisse in einem breiten Spektrum historischer und gesellschaftlicher Entwicklungen; fast möchte man sagen: da liegt der Hase im Pfeffer. Was immer er schreibt ist bis in die Details beschlagen, er gräbt sich durch die eingestaubtesten Bibliotheken, ein historisch-literarischer Archäologe der Moderne, wenn man so will.
Doch jetzt kommen zwei andere, untergründige Strömungen zusammen: einerseits lockert sich sein Zugriff auf die Materie. Er fängt eine Passage, um im Bilde zu bleiben, am Flussufer an, bemerkt sich in ein paar kunstvoll ältlich gedrechselten Wendungen am Rande einer Brache, gerät, man weiss nicht wie, trockenen Fusses an‘s andere Ufer, sammelt einen Kiesel, wechselt unversehens und mit hoher Schlagzahl zurück, in der Mitte des Flusses fällt ihm eine Reliquie in die Hände und, während er sie mit dem und gegen das Licht betrachtet, wird er ein paar Kilometer Flussabwärts getrieben. Am Ende eines Aufsatzes von Patrick Bahners muss man noch mal von vorn anfangen, mindestens aber auf den Vortext schauen, um danach zu suchen, was denn wohl der Anlass oder das Ziel dieses Angehens gewesen sein mochte. Verwirrung.
Der Artikel gestern handelt von John Paul Stevens, einem Richter am obersten Gerichtshof der USA. Die von überbordenden Nebenlinien vergatterte Argumentation, nee, Darstellung? Hhm, also, der Text beginnt mit einem Rechtsstreit der (US-)Bundesarbeitsagentur für gleiche Arbeitsbedingungen gegen den Staat Wyoming. Es ging um das Verbot der Altersdiskriminierung im Zusammenhang mit der Frage, ob ein Bundesstaat ein, im Sinne des Gesetzes, „normaler“ Arbeitgeber sei, der diesem Verbot Folge zu leisten habe. Das richterliche Votum, so stellt Bahners dar, fusse auf der „Handelsklausel der Verfassung“ - was aber diese Klausel und die Altersdiskriminierung und/oder die Definition von Arbeitgebern im gesetzlichen Sinne zueinander bringt, bleibt unklar. „Dazu muss man wissen,“ schreibt Bahners - eine verräterische Wendung - und erläutert, dass es in der Auseinandersetzung um diese Klausel ein jahrzehntelang wogendes Hin&Her gegeben habe, letztlich um die Frage der Macht des Zentralstaates. In dieser Auseinandersetzung kommt es u.a. schon mal zu einem Rechtsstreit über den Anbau medizinisch indizierten Marihuanas, dann ist Stevens ein Befürworter der Sterbehilfe, und zur „Biopolitik der Bush-Regierung trennt ihn Himmelsdistanz“. Zwischendurch geht es um die Historie des Obersten Gerichtshofes und die Ziele zurückliegender Regierungen bei der Besetzung freiwerdender Richterposten, um die Frage, warum jemand, der einst als konservativ galt, unter heutigen Umständen als liberal gefeiert wird. Und irgendwie spielt es auch eine Rolle, dass Stevens, als es um die Altersdiskriminierung ging, 1983 nämlich, gerade 62 Jahre alt war und weitere 27 Jahre in seinem Amt verblieb. „Eine gesetzgeberische Initiative, die mit Aussicht auf Erfolg seine damalige Einschätzung auf seine eigene Tätigkeitssphäre angewandt hätte, hat er nicht erleben müssen.“ Jetzt - sind wir erst auf halber Strecke, und es warten noch …
- die Gesundheitsreform,
- Verfassungspatriotismus vs. Verfassungsnationalismus,
- Wiley Rutledge, bei dem Stevens 1947 seine Karriere begann,
- Stevens sr., der das damals grösste Hotels der Welt gebaut hat,
- der soziale Reifeprozess eines Einzelgängers,
- das Lernverhalten von Elitegremien, das, „wie alles sozial wirkungsvolle, rechtliche Voraussetzungen“ hat,
- Guantanamo,
- die sowjetische Psychatrie,
- die Übernahme der Definition von Rassemerkmalen aus den Nürnberger Gesetzen,
- und ein donnernde Schlusssentenz
Auch dem stilistischen Gourmand und engagierten Leser gerät das Geschriebene, wie das Flirren heisser Luft über der Wüste, zu einer ungreifbaren Fata Morgana, immer wieder von Windböen vor dem Entstehen eines erkennbaren Bildes verwirbelt. Was will uns der Dichter damit sagen? Man weiss es nicht. Dabei spürt man, um das mit aller Deutlichkeit zu sagen, dass „da was ist“, man wähnt eine Qualität, die nur zur „Kenntlichkeit“ geführt werden müsste.
Von der Schlauheit führt nur die Demut zur Weisheit.
Es scheint, als gerate hier möglicherweise das Übermass an Kenntnissen und Sachverhalten wie zu einem Delta der Unübersichtlichkeit. Bahners flutet die Zeilen mit Kleinkenntnissen, mit einem Feuerwerk an flächendenckenden Bedeutungsräumen, alles, so könnte man sagen, hängt irgendwie mit allem zusammen. Nur wie?! So wächst der Preis des Wissens sich zu einer Quersumme aus, aus einer wachsenden sachlich-moralischen Unentscheidbarkeit, einerseits.
Andererseits, und das erzeugt den qualitativen Verlust, fehlt es an redaktioneller Disziplinierung. Objektiv fehlen womöglich die Kapazitäten, und das gilt für immer mehr Texte in der FAZ. Aber auch die subjektive Komponente hat systematisches: wer korrigiert einen Feuilletonchef? Die rasche, beeindruckende Karriere des Helden mischt Unfehlbarkeit mit Unangreifbarkeit, um ihn herum wächst der isolierende Mangel an kompetenter Diskussion. Herr Bahners, so könnte man es platt sagen, wird nicht mehr redigiert; es ist niemand da, der dem Chef sagt, wohin er sich verläuft. Man zuckt mit den Schultern, im Radio würde man sagen: das versendet sich.
Das unglückliche Zusammenspiel dieser zwei Mängel machen der FAZ und vielen anderen Qualitätsmedien zu schaffen. Wenn die Personaldecke dünner wird, muss man auf die Substanz der Belegschaft vertrauen. Das wird für den Tag gutgehen, auf Dauer geht es schief. Die Frage, die sich doch stellt, ist die: hat Patrick Bahners ein Problem? Oder die FAZ? Oder am Ende nur die Herausgeber. (IvD)
Camp aesthetics were popularised by filmmakers George and Mike Kuchar, Andy Warhol, and John Waters, including the latter's Pink Flamingos, Hairspray and Polyeste
Kommentiert von: kanal7 sohbet | 26. Oktober 12 um 22:08 Uhr