P R I N T i s t Z U K U N F T - sagt
na? Der VDZ! Daniel M. macht mich auf ein neues (21. Januar 2010) Thesenpapier vom VDZ aufmerksam. Tatsächlich: länger schon nicht mehr hingeschaut.
TrendONE heisst die Beratung, die für den VDZ oder mit dem VDZ das Thesenpapier „PrintPlus Industry Outlook
2010 - Print ist Zukunft“ erstellt hat. Das Paper, 22 Sei-
ten, weniger ist mehr, das bringt man rasch hinter sich,
der Flug Frankfurt-Berlin reicht dicke. Es werden Thesen vorgestellt:
„Print lebt und ist innovativ! Dieses Lebenszeichen
haben wir als Schlüsseltrend „Print Plus“ identifiziert.“
Ein Lebenszeichen als Schlüsseltrend, jo. Diese Entwicklung wird in „Clustern“ heruntergebrochen und zwar je einen
1 - Cluster Print Plus Marketing Contexts
2 - Cluster Print Plus Embedded
3 - Cluster Print Plus Mobile Connections und
4 - Cluster Print Plus Digital Expansions
Die Verdienste des Papiers zusammenzufassen ist - ohne Polemik - nicht ganz leicht. Das Problem mit dem Partner (oder Auftraggeber?) VDZ zeigt sich darin, dass jedes Argument so gedreht und geschoben werden muss, dass es die Verbandsmaxime (Print lebt, äh .. wirkt!) stützt - auch dann noch, wenn der Aberwitz (sagen wir mal ganz vorläufig: beim Thema eReader) breitbeinig durch die Zeilen stapft.
Wohlwollend argumentiert, könnten die vorgestellten „Innovationen“ helfen, aus dem engen Korsett einer ausschliesslich Papier bedruckenden Verlagswelt herauszudenken. Da werden neue, oder nunmehr marktreife Technologien gezeigt:
- Beispielsweise die Möglichkeit, elektronische Komponenten in die Printprodukte einzubetten, die dann etwa kleine Videos wiedergeben, Zitat: „... der Player, der über fünf Knöpfe vom Leser gesteuert werden kann, wird von einer Lithium Batterie mit Energie versorgt und bietet gut vierzig Minuten Content“.
- Oder eingebundene Codes, die mit leicht verfügbaren Hilfsmitteln in effektvolle Attribute gewandelt werden, etwa in 3D-Abbildungen, wenn, Zitat: „Alles was man dazu braucht ist eine Kamera (diese kann im Handy oder Laptop sein) und eine entsprechende Software auf dem Endgerät.“.
- Oder eine interaktive Variante, die besondere Aufmerksamkeit evoziert. Zitat: „… zum Beispiel hat der Männer-Kosmetik-Hersteller Axe eine Printwerbung veröffentlicht, in der, … , junge, attraktive Frauen zu sehen waren, deren Körper allerdings durch schwarze balken zensiert waren. Um das vollständige Bild des PinUp-Girls zu sehen, musste der Leser die Axe-Homepage besuchen, um sich die benötigten Daten auf sein Handy zu laden. Fuhr er dann mit dem Mobiltelefon über das Bild, wurde dies zum letzten Puzzle-Teil und gab das gesamte Foto frei.“
Raus aus den Denkschablonen! Oder: Öfter mal was ausprobieren! Die Beispiele werden ernsthaft und affirmativ vorgestellt und mit den vier Clustern korreliert.
Dass das ein horrender Blödsinn ist, der - im ersten Fall - Sondermüll erzeugt, im zweiten und dritten Fall diskussionswürdige Mehrwerte nach einem beinahe ins Absurde abgedrifteten Medienbruch bereitstellt - und dass uns dieses, seine Unzulänglicheiten auch noch ausstellende, Umstandstheater als innovative Zukunftszeichen verkauft wird …., Herr, schmeiss Hirn vom Himmel.
Ernsthaft erwidert: vielleicht entsteht mit Schi-Schi und Effekthascherei sogar für ein, zwei Sekunden Aufmerksamkeit, vielleicht geht tatsächlich irgendein Depp auf die Axe-Homepage, eiert rum, bis er die Daten auf dem Handy hat und sieht dann das PinUp-Girl - im Bikini! - auf seinem 2 mal 3 cm Display.
Aber sogar der Depp sagt dann zu seinem Kumpel: „Was‘n Schmarrn - im Netz krieg ich das ohne Umstände - und da geht‘s dann wenigstens zur Sache.“
Immerhin kommt dann das Kapitel eReader! Zitat: „Auch das Inhalte-Angebot, das in Zukunft für die eReader bereit stehen soll, wird ständig erweitert.“ Dass Barnes & Noble bereits 700.000 Titel im Angebot hat, hätte man vielleicht einmal erwähnen können. Zitat: „Es herrscht also auf dem Markt der eReader und -Book-Angebote momentan eine ähnlich verworrene Situation, wie sie in der Musikindustrie vor dem Launch von iTunes herrschte.“ Na da schau her! Das Kindle verkauft sich millionenfach. Amazon verkauft auf 10 physische Bücher 6 elektronische. In der „holiday season“ hat Amazon erstmals mehr eBooks als Bücher verkauft („Kindle Ebooks Outsell Real Books. ... on Christmas Amazon sold over 9.5 million items (a staggering 110 items per second) at its peak on December 14, yet another record.“).
Höhepunkt dieses „Industry Outlook 2010“: Tablets bleiben unerwähnt, deren Potentiale sind diesem Thesenpapier unbekannt; dass diese Tablets DAS Thema des Jahres 2010 werden, konnte der bloss interessierte Beobachter ungefähr ab Mitte 2009 wissen. Umgekehrt muss aber nun der eReader für die gedruckte Zukunft herhalten. Zitat: „Die Entwicklung von eReadern und druckbaren Displays usw. wird bald so weit sein, dass sie in der Schule, im Büro und im Alltag Verbreitung finden. Es bleibt also spannend, welche Hochzeiten mobile Lese-Devices noch mit Print eigehen werden.“ So die abschliessende Zusammenfassung zu dem Thema. Wer auch nur ein Auge den Tag über offen trägt, kennt die Antwort: Keine.
Ich empfinde das als daramtisch.
Selbst WENN sich der Verband, der sich als Co-Publisher die Tiefenschärfe der Thesen zu eigen macht, auf die Quartals-orientiert operative statt auf die strategische Begleitung seiner Klientel verlegen wollte: zum Thema eReader hat es bereits vor Jahren einschlägige, und eben ins Strategische zielende, Veranstaltungen gegeben. Wer - als Buchverleger - den Reader nicht auf dem Zettel hat, ist selbst schuld - und nicht zu retten. Wer aber als Zeitschriftenverleger auf eine „Liason“ mit den Devices hofft, der hat die Zeichen der Zeit auch nicht verstanden (ich selbst glaube durchaus an ... „Jahresbände“ und/oder „User-Compilations - nur würde diese Entwicklung die weitere Schrumpfung des Printmarktes zementieren, wenn nicht beschleunigen).
Und ein Verband, der in dieser Frage tapfer die Zukunft zur Vergangenheit überreden will, agiert fahrlässig, ängstlich und an den Notwendigkeiten seiner Klientel vorbei.
Aber wir sind erst bis zur Hälfte des Papiers vorgedrungen. Jetzt kommen die Business Modelle, vielleicht kommt ja noch was.
Erstens: Werbung. Und schon sitzen wir mitten im Schlamassel: ERSTENS Werbung, nicht etwa zweitens oder n-tens. Längst, und in Zeitschriften besonders, aber auch in der Mehrheit der (regionalen) Zeitungen, längst veranstaltet die Werbung den Inhalt, und das ist die Wurzel der Kostenloskultur. Dass und wie diese Umkehrung den Inhalt kontaminiert …, ist so evident, dass man sich den Nachweis ersparen kann. Und der Mainstream der Entscheider hat nicht einmal ein Problem, das einzuräumen. Nur den nächste Schritt in dieser Analyse verweigert die Branche unisono: Dass nämlich diese kontaminierten Inhalte ihr Publikum verlieren.
Aber auch inhaltlich kommt das Papier hier keinen Schritt weiter. Zitat: „Die klassischen Werbemodelle können mit Hilfe des Schlüsseltrends Print Plus an neuer Schubkraft entwickeln. … Veredelt werden Anzeigen beispielsweise durch die Integration von sensorischen Effekten wie Duft, Geschmack, Sound, Licht oder Strukturen.“ Eine flache Wiederholung der Abschnitte „Embedded“ und „Augmented“. Und zwei Abschnitte später legt das Papier seine eigenen Schwachstellen offen, freilich nur, um das sofort wieder zu vergessen. Zitat: „Bei eReadern mit WLAN entfällt dieser Medienbruch dann komplett.“
Zweitens: Bezahlmodelle. Wir lernen die Flatrate und auch das brandaktuelle Freemium-Modell kennen (Wikipedia: „Das Freemium-Geschäftsmodell wurde vom Risikokapitalgeber Fred Wilson am 23. März 2006 beschrieben“; in Wired erschien das Thema im Februar 2008). Der Branche wird einmal mahnend der Finger gezeigt: man klebe nämlich noch an den alten, falschen Geschäftsmodellen. Und schon sind wir bei
Drittens: Transaktionsmodellen. Kurz gesagt: über Shopsysteme sollen die beworbenen Produkte sogleich auch verkauft werden. Das ist jetzt einmal ein ganz innovativer Ansatz, von dem die Mehrheit des fachkundigen Publikums sicher noch nie gehört hat. Zu den weiteren Höhepunkten der Argumentation gehört dann wohl auch folgendes. Zitat: „Man stelle sich nur einmal das Thema Produkt- und Preissuchmaschinen vor. Eine intelligente Software erlaubt es, Produkte aus Magazinen abzufotografieren und man bekommt automatisch verschiedenste Anbieter des Produktes mit den dazugehörigen Preisen. In einem solchen Szenario wird es für Publisher schwierig über einen Revenue Share zu partizipieren. Daher müssen Publisher eigene Lösungen und Impulse zum Beispiel gemeinsam mit den Telekommunikationsunternehmen entwickeln.“ Lassen wir mal die sprachlichen Unzulänglichkeiten beiseite, die sich durch das ganze Papier ziehen.
Man könnte jetzt, müsste man das ernsthaft diskutieren, verschiedene Fragen stellen: Warum soll ich das Produkt fotografieren - ein qualitativer Fortschritt gegenüber der Eingabe des Produktnamens in Google will mir nicht gleich einfallen. Und selbst wenn: den Ansatz dazu hat Google bereits im Inkubator: Pixazza. Und warum sollten, wenn überhaupt, die Telekoms das nicht allein machen? Etwa, weil die Magazine sonst die Produkte nicht vorstellen würden? Aber noch einfacher vielleicht: Könnten Verlage, wenn überhaupt, die „intelligente Software“ (ich würde von einer App sprechen, aber gut) nicht selbst entwickeln und betreiben?
Abschliessend werden wir Fachleser nun mit einer Handvoll Thesen beglückt, die nochmals wiederholen, was zuvor gesagt wurde und uns darüber hinaus mit ein paar strategischen Herausforderungen konfrontieren, bei denen uns schier der Atem stockt. Zitat: „Eine der grossen Herausforderungen stellen insbesondere bei eReadern jedoch Lizenzrechte und die Preisgestaltung dar, die nur durch ein gemeinsames Vorgehen der Verlage zufriedenstellend gelöst werden kann.“ Zitat: „Für Verlage wird die zentrale Herausforderung darin bestehen, zwischen Online und Print richtig zu differenzieren. Das Zusammenlegen von Online- und Printredaktionen haben bereits einige Verlage, schon aus Kostengründen, vorgenommen.“ Whow! Man beachte diese subtil zwischen die Zeilen gelegte Denkschwelle: „zwischen online und Print richtig zu differenzieren“ und „Online- und Prinredaktionen zusammenlegen“.
Ich haben den polemischen Schluss, der diese Kritik im ersten Entwurf beendet, wieder verworfen. Mir liegt an der Diskussion, und besonders liegt mir an den Medien, seien sie gedruckt oder digital: mir liegt am Inhalt. Ich bin Leser, ich bin Kernzielgruppe, und ich wünsche mir und arbeite dafür, dass Publisher eine Brücke in die Zukunft finden. Ich halte aber die Art von Diskussion, die mit ideologischen, taktischen und/oder opportunistischen, obendrein unausgegorenen oder auch noch überholten Figuren zu Felde zieht, für kontraproduktiv.
Die Zukunft von Print - so wie wir es als Branche kennen - ist in höchstem Masse gefährdet, das - und nichts anderes, steht an der Wand. Viele der aufgeklärteren Publisher argumentieren längst, dass ihre Passion nicht im Bedrucken von Papier, und noch weniger in der Vernichtung von Wäldern besteht. Aus dem blossen Bekenntnis aber wächst auch keine Blume. Die Branche muss ein paar bittere Pillen schlucken - und auf Wirkung hoffen.
Dazu gehören:
- Zur Legitimität (Qualität ... Relevanz) zurückzuschrumpfen.
- Zu verstehen und zu leben, was medienADÄQUATE Veredelungsleistungen sind.
- Der Werbung ihren Platz zuzuweisen (nicht umgekehrt).
- Zu verstehen, dass die negativen Entwicklungen (Auflagenrückgänge, Umsatzverluste, Kostenlos-Kultur ...) als strukturelle Marktkritik zu lesen ist.
Print hat über Jahrhunderte hinweg ein grosses gesellschaftliches Bedürfnis bedient; in der Expansion und Saturiertheit der letzten ... 50 (?) Jahre ist Dekadenz erwachsen. Print, das war "raisonnierende Öffentlichkeit" und das Archiv der Gesellschaft. Heute ist Print ... Müll, und das in einem Ausmass, dass die Gesellschaft eigene Entsorgungsschleifen dafür bereitstellen muss. Das ist natürlich schon wieder polemisch, schmerzhaft polemisch. (IvD)
Das Problem ist einmal mehr: Für einen Hersteller von Hämmern muss die ganze Welt aus Nägeln bestehen. Kein Wunder also, dass mit der Methodik der Trendforschung (aka: "existierendene Trendlinien in die Zukunft verlängern") so etwas rauskommt. Kein Verlegerverband will hören: "Die Hälfte aller Verlage ist überflüssig". "Papier ist geduldig, aber leider in 80% der Fälle überflüssig". Schade, dass Verleger nach wie vor über "Medien" reden. Statt über Inhalte. Oder noch besser: Über Services.
Das mag daran liegen, dass die meisten Verlagsmanager den Tod von Print nicht mehr in IHRER persönlichen aktiven Berufszeit erwarten. Sie mögen irren.
Kommentiert von: Joachim Graf | 16. Februar 10 um 18:08 Uhr
Hallo Herr van Deelen,
ich glaube wir haben ein Perspektivenproblem. TrendONE schaut im Print Plus Industry Outlook chancenorientiert aus Sicht der Printindustrie in die Zukunft. Hier sind unsere beschriebenen Zukunftsfelder Augmented Print, Printable Electronics, 5 Sense Print und E-Reading absolute Chancen um künftig mit dem Medium Print erfolgreich zu wachsen.
Sie schauen eher aus einer Macro-Perspektive auf die Print-Industrie und das sieht natürlich anders aus.
Somit haben wir beide eine unterschiedliche Sicht und das ist ja auch ok.
Nur Ihr Tonfall war leider nicht ok.
Wenn Sie sich mal konstruktiv mit mir austauschen möchten, freue ich mich über Ihre Nachricht. Ich bin oft in Frankfurt und sonst auch gerne telefonisch erreichbar.
Happy Future
Nils Müller
Kommentiert von: Nils Müller | 18. Februar 10 um 18:28 Uhr
Also, wenn wir hier schon im kleinen Kreis sind, sag ich als alter Digitalist mal was:
Die Vorschläge im Papier halte ich auch eher für "ganz nett", strukturell bringen sie nichts, sie sind für Produkte dauerhaft keine sinnvolle Ergänzung.
Ich glaube aber auch nicht, dass Print tot ist oder sterben wird. Man muss nur a) den Inhalt wieder reizvoll machen, durch mutigen Journalismus und neue Formate und b) das Print-Produkt äusserlich als Produkt attraktiver machen, zB gutes Design oder eine ansprechendere, wertigere Haptik und c) Cross-Media stärker spielen, zB die Publikationsrhythmen sowohl dem Nachrichtenstrom als auch den Nutzungsgewohnheiten anpassen.
Das ist meines Erachtens "Hausaufgabe".
Kommentiert von: Christoph Kappes | 18. Februar 10 um 21:03 Uhr
goodds
Kommentiert von: hosting | 17. Januar 11 um 16:32 Uhr
very nice
Kommentiert von: porno | 17. Dezember 11 um 00:04 Uhr